Offener Brief an Landrat Steve Kanitz

Sehr geehrter Steve Kanitz,

wir sind das Bündnis „Jedes Jahr im Sommer“, das sich seit einigen Jahren darum bemüht, Protest gegen das Sommerfest von Sebastian Koch und der AfD-Jugend im Altmarkkreis Salzwedel zu organisieren.

Wir schreiben Ihnen heute, weil wir unsere Irritation über Entscheidungen des Altmarkkreises hinsichtlich der rechtlichen Einstufung des Sommerfestes zum Ausdruck bringen möchten. Obwohl die Evidenzen erdrückend sind, dass es sich bei dem Sommerfest der AfD-Jugend um eine politische und Parteiversammlung handelt, zu der über einen bloß privaten Kreis hinaus eingeladen und mobilisiert wird, hat der Altmarkkreis auch in diesem Jahr wieder eine Einstufung als „Veranstaltung“ vorgenommen. Das ist uns einerseits aus Beantwortung von Presseanfragen bekannt, andererseits aus einer Beantwortung einer Anfrage des Gardelegener Stadtrats Jörg Marten.

Wir möchten Ihnen im Folgenden ausführlich darlegen, warum die Einstufung als private, nicht anzeigepflichtige Veranstaltung, die überdies keinerlei Auflagen durch Kommune oder Landkreis unterliegt, nicht den Tatsachen entspricht.

Wie in den vergangenen Jahren die “Junge Alternative”, möchten der AfD-Kreisvorsitzende Sebastian Koch, die örtliche AfD und die “Heimattreue Altmark”, die das Symbol der offiziell aufgelösten AfD-Jugend “Junge Alternative” weiterführt, auch in diesem Jahr wieder hunderte Rechtsextremist*innen zu einem Sommerfest in der Altmark versammeln. Im Jahr 2023 nahmen an dem Event der weiteren Region 550 Personen teil, wie das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt in Antwort auf eine Kleine Anfrage der Landtagsbgeordneten Henriette Quade zu extrem rechten Veranstaltungen im Land berichtete (Drucksache 8/3370 vom 21.11.2023, Antwort auf Kleine Anfrage KA 8/1788) (Quelle: https://padoka.landtag.sachsen-anhalt.de/files/drs/wp8/drs/d3370dak.pdf). 2024 nahmen ähnlich viele Personen teil. Damit ist das AfD-Sommerfest das inzwischen größte regelmäßige extrem rechte Event in der weiteren Region. Auf seiner Bewerbungsrede als Landtagskandidat auf dem Aufstellungsparteitag der AfD Sachsen-Anhalt Ende Mai profilierte sich Sebastian Koch mit dem Fest als Teil seiner Jugendarbeit für die Partei, nannte es “das größte patriotische Jugendfest Deutschlands”. Das zeigt deutlich, wie eng eingeflochten das Fest in den politischen Kampf der gesichert rechtsextremistischen Partei und des Ausrichters ist.

Ganz im Kontrast dazu äußerte sich Sebastian Koch kurz darauf gegenüber der Volksstimme (12.06.25, https://www.volksstimme.de/lokal/gardelegen/keine-feier-von-rechten-bei-gardelegen-auf-kosten-der-steuerzahler-4065518). Hier heißt es mit Bezug auf seine Äußerung vom Parteitag: “Auf Nachfrage der Volksstimme sagt Koch dazu, dass das Sommerfest eine rein private Feier sei. Und zwar ‘ungeachtet dessen, wie ich es nenne, weil wir keinen Eintritt nehmen, keinen Gewinn erzielen, vor Ort kein Verkauf stattfindet.'” Und: “Der Zutritt zum Gelände sei nur Personen gestattet, die er kenne.” Gegenüber der Volksstimme kündigte Koch dann auch an, dass er gegenüber der Versammlungsbehörde des Kreises “den Klageweg einschreiten” werde, sollte diese seine Feier im Jahr 2025 umstufen, also nicht mehr als private, nicht anmeldepflichtige Veranstaltung betrachten.

Hintergrund dieser öffentlichen Auseinandersetzung ist, dass der SPD-Stadtrat von Gardelegen, Jörg Marten, im Stadtrat eine Anfrage an die Verwaltung eingebracht hatte. Über die Anfrage ist öffentlich bekannt (Volksstimme, 28.05.25, https://www.volksstimme.de/lokal/gardelegen/vorfuhrung-eines-politischen-widersachers-im-gardelegener-stadtrat-4057781), dass Marten fragte: “Wie schätzt die Verwaltung das Sommerfest ein, wurden die bisherigen Treffen angemeldet, wer kümmert sich um Brandschutz, wer überprüft etwaige Schankgenehmigungen, Gewerbeanmeldungen und die Einhaltung hygienischer Standards, welche Maßnahmen der Gefahrenabwehr gibt es, etwa, was strafbare Handlungen der Teilnehmer, wie das Tragen verfassungsfeindlicher Kennzeichen oder Volksverhetzung angeht, wird überprüft, ob der Jugendschutz eingehalten wird, denn 2022 war die rechtsextreme Rapperin Runa aufgetreten, wohl auch vor Kindern. Gibt es behördlicherseits Auflagen für das Treffen?”. Zudem hatte Marten angezweifelt, dass “eine innere Verbundenheit zwischen den Teilnehmern besteht” und damit einen Rechtsbegriff verwandt, der sich auf den Charakter einer privaten Veranstaltung bezieht. Bestünde diese innere Verbundenheit nicht – etwa durch persönliche Bekanntschaft der Festbesuchenden untereinander – könnte zum Beispiel das Anfallen von GEMA-Gebühren geprüft werden und eine Anmeldepflicht nach Gaststätten- oder Versammlungsrecht bestehen. Das aber solle, so Sebastian Koch, aufgrund des privaten Charakters nicht der Fall sein. Gegenüber der Volksstimme widersprach er Marten und bestand auf einer inneren Verbundenheit: “Das besteht. Selbst wenn dort 1.000 Menschen teilnehmen würden.”

Die Volksstimme zitierte zum Thema den Verfassungsschutzbericht Sachsen-Anhalt 2023. Darin heißt es demnach: “Ihrerseits reisten führende Vertreter der IB (Identitären Bewegung) aus Österreich unter anderem Anfang August 2023 zum Sommerfest der Jungen Alternative in Roxförde an, das sich zu einem Vernetzungstreffen mit überregionaler Bedeutung entwickelt hat.” Die Einschätzung, es handle sich um ein Vernetzungstreffen mit Rechtsextremisten aus Österreich, passt indes überhaupt nicht zur Darstellung von Sebastian Koch. Und auch Anfang 2025 kommt das Landesinnenministerium zu dem Schluss, dass das Sommerfest keine private Feier ist, sondern eine Parteiveranstaltung. In Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Landtagsabgeordneten Henriette Quade, die nach dem Immobilienbesitz der extremen Rechten in Sachsen-Anhalt im Jahr 2024 fragte, führte das Landesinnenministerium nämlich am 28.2.25 in einer umfassenden Tabelle auch das Gelände bei Roxförde auf, das Sebastian Koch (und die JA) jedes Jahr für das Sommerfest nutzen. In der Spalte “Derzeitige Nutzung” heißt es hier: “Parteiveranstaltungen (JA-Sommerfest)” (Quelle: https://padoka.landtag.sachsen-anhalt.de/files/drs/wp8/drs/d5253zak.pdf). Diesen Tatsachen vollkommen widersprechend behauptet Koch in der Facebook-Kommentarspalte des Accounts der Volksstimme Altmark, die dort ihren Artikel vom 12.06.25 gepostet hatte. “Es gibt keine politischen Dinge auf dieser Feier.” (Quelle: https://www.facebook.com/share/p/178TCyRGx7/)

Auch in 2023 fand im Rahmen des JA-Sommerfestes wieder ein einschlägiges Neonazi-Konzert in Roxförde bei Gardelegen statt. Darüber berichteten wir im vergangenen Jahr auf unserer (Quelle: https://www.jedesjahrimsommer.net/2024/03/31/das-ja-sommerfest-ein-mal-im-jahr-buhne-frei-fur-ns-musikerinnen/). Am Vorabend des JA-Sommerfestes, und zwar am Freitag, dem 11.08.2023, musizierte dort der einschlägige NS-Musiker “Der Visionär”. Dabei hatte sich der JA- und AfD-Vorsitzende Sebastian Koch noch vier Monate zuvor, in einem Interview mit der “Volksstimme”, von einem Auftritt der Nazi-Rapperin “Runa” im Jahr 2022 distanziert. Die sei ohne sein Wissen um ihre Hintergründe beim Sommerfest der JA aufgetreten, sagte Koch – eine Behauptung, die schwerlich mit der Behauptung überein zu bringen ist, dass er alle Teilnehmenden der “privaten Veranstaltung” persönlich kenne. “Die Sängerin sei von der JA Brandenburg zum Sommerfest eingeladen worden”, zitierte ihn die Volksstimme im Nachgang – ein weiterer Beweis dafür, dass nicht Koch als Privatperson über den Charakter des Fests entscheidet, sondern die bundesländerübergreifende Jugendorganisation der AfD. (Volksstimme 1.5.23, https://www.volksstimme.de/lokal/salzwedel/junge-alternative-altmark-ein-fall-fur-den-verfassungsschutz-3598656)

Dass Koch sich mit neonazistischer Musik nicht auskennen will, lässt sich ebenfalls widerlegen. So heißt es über ihn im Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt im Jahr 2023 auf S. 50: “Der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Altmarkkreis-Salzwedel und des JA-Gebietsverbands Altmark fiel seit dem Jahr 2012 konstant in rechtsextremistischen Zusammenhängen auf und nahm an einer Vielzahl von Veranstaltungen wie ‘Heldengedenken’, Kranzniederlegungen oder Konzerten der neonazistischen Szene teil.” (Quelle: https://mi.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Verfassungsschutz/Referat_44/VSB_2023_Pressefassung.pdf)

Im Jahr 2023 war das Ordnungsamt anlässlich des Sommerfestes tätig geworden und hatte vor Ort festgestellt, dass der Veranstalter durch die Vergabe von Festival-Bändchen das rechtzeitige Verlassen von Jugendlichen und damit die Gewährleistung des Jugendschutzes sichergestellt hatte. Außerdem legte nach Sichtung der Mitarbeiter*innen vor Ort unter freiem Himmel ein DJ auf. Das geht aus Antworten auf Presseanfragen an die Verwaltung des Altmarkkreises aus 2023 hervor. Der Altmarkkreis hat in der Vergangenheit also durchaus bereits Maßnahmen getroffen, um die Einhaltung bestimmter Rechtsvorschriften zu überprüfen. In diesem Rahmen muss er an den Festveranstalter herangetreten und diesen zur Auskunft über das Veranstaltungsdatum und den Charakter des Fests aufgefordert haben.

Das Neonazi-Konzert am Vorabend indes fand – mutmaßlich unter Irreführung der Behörden betreffend den zeitlichen Umfang des Sommerfestes – außerhalb behördlicher Beobachtung statt. Schließlich hatte die Junge Alternative durch eine szeneübliche, klandestin-interne Mobilisierung zum Fest nicht nur Gegendemonstrant*innen, sondern auch die Verwaltung des Altmarkkreises und den Verfassungsschutz lange bezüglich des Veranstaltungsdatums im Dunkeln gelassen. Unter anderem inwiefern hier Jugendliche neo-nationalsozialistischen Liedtexten ausgesetzt waren, ist darum gleichsam nicht bekannt. “Der Visionär” stand jedenfalls mit einem T-Shirt auf der Bühne, das unter anderem Angehörige der Hitler-Jugend mit Trommeln zeigte, wie wir belegen konnten.

In ganz Deutschland gingen 2024 Menschen auf die Straße, als sie von den Inhalten eines geheimen Treffens der Partei in Potsdam durch eine investigative Recherche erfuhren. Die beispiellosen Teilnahmezahlen an diesen Demonstrationen durch die Bürger*innen belegen: Es gibt ein riesiges öffentliches Interesse an dem, was die AfD, ihre Jugendorganisation und andere Rechtsextremist*innen tun und bereden, wenn sie glauben, von der Öffentlichkeit unbeobachtet oder im „privaten“ Rahmen zu sein (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Proteste_gegen_Rechtsextremismus_in_Deutschland_und_%C3%96sterreich_2024).

Ähnliches gilt wohl auch für das geplante Fest in Roxförde. 26 Parteiverbände, Inititativen, Landtagsabgeordnete und Vereine haben der Kampagne “Jedes Jahr im Sommer” im die Unterstützung ihres Demonstrationsanliegens zugesichert. Die Liste unserer Unterstützer*innen wird von der Kampagne öffentlich geführt und besteht beispielsweise aus dem Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen, dem Lesben- und Schwulenverband Sachsen-Anhalt, dem Bündnis für Demokratie Gardelegen und sogar der Bundesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus der Partei DIE LINKE. Sie finden die Liste hier: https://www.jedesjahrimsommer.net/unterstutzerinnen/

Im Jahr 2023 hatte es in den Antworten auf Presseanfragen an den Altmarkkreis weiterhin geheißen: “In Anwendung der Gefahrenabwehrverordnung der Kommunen wäre ggf. eine öffentliche Veranstaltung mit Beschallungstechnik anzeigepflichtig.” Eine solche Anzeige fand den Auskünften entsprechend zunächst nicht statt. Dennoch stellten Ordnungsamtsmitarbeiter ausweislich der Antworten auf eine Anfrage im Nachgang der Veranstaltung dann fest: “‘Der Gastgeber hatte bereits bei Gesprächen im Vorfeld angegeben, dass ein DJ  für die musikalische Unterhaltung auf dem Sommerfest engagiert wurde. Bei dem Gespräch vor Ort hat sich diese Aussage bestätigt.” Laut Volksstimme vom 28.5.25 räumte Koch hinsichtlich dieses Sommerfestes 2023 ein, dass dort eine Band aufgetreten sei: “Im Nachgang der Sitzung teilte Koch der Redaktion mit, dass der Vorwurf stimme, dass auf einem Foto der Bühne beim Sommerfest 2023 auf einem Plakat die Aufschrift „FCK GRN“ (Fuck Grüne) gestanden habe. Das habe er im Nachgang der Party mit Photoshop auf das Werbebanner der Band gelegt. Die habe ihn darum gebeten, das Banner zu verdecken.” Entsprechend wäre jedenfalls auch in 2025 eine Veranstaltung mit Beschallungstechnik anzeigepflichtig.

Als Bündnis möchten wir Sie in Ihrer Funktion als Landrat des Altmarkkreises Salzwedel darum bitten, sich die Entscheidung Ihres Hauses vor dem Hintergrund dieser Informationen noch einmal anzusehen und ggf. zu korrigieren. Wir denken, dass in diesem Fall einige Rechtsbereiche berührt sind, in denen der Landrat gewisse Ermessensspielräume bemühen kann und sollte. Über eine Unterstützung würden wir uns jedenfalls sehr freuen.

Viele Grüße!
Jedes Jahr im Sommer